Aktuelle Fragen zur Impfpflicht in der Pflege (Update vom 02.02.2022)

Aktuelle Fragen zur Impfpflicht in der Pflege (Update vom 02.02.2022)


Die einrichtungsbezogene Impfpflicht in der Pflege steht an. Der Bundestag hat beschlossen, dass Beschäftigte in der Pflege ab dem 15. März 2022 grundsätzlich vollständig geimpft oder genesen sein müssen. Unter Arbeitgebern und Arbeitnehmern besteht indes große Unsicherheit hinsichtlich der Detailfragen.

Ab dem 15.03.2022 müssen Beschäftigte entweder einen Nachweis über ihren vollständigen Impfstatus, ihren Genesenennachweis oder ein Attest vorlegen, aus dem sich die medizinische Kontraindikation einer Impfung gegen das Coronavirus ergibt. Die Regelungen gelten (vorläufig) befristet bis zum 31.12.2022. Was das jetzt konkret für Arbeitgeber und Beschäftigte heißt und ob Schlupflöcher bestehen, beleuchten wir nachfolgend.

Für welche Personen gilt die Nachweispflicht?
Von der gesetzlichen Regelung sind alle Personen erfasst, die in den betroffenen Einrichtungen „tätig“ sind. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Person nicht nur jeweils einige wenige Minuten, sondern über einen längeren Zeitraum in der Einrichtung Tätigkeiten ausführt. Es kommt nicht darauf an, auf welcher vertraglichen Grundlage dieses Tätigwerden erfolgt. Unter die Nachweispflicht fallen somit nicht nur das Pflege-, Betreuungs-, Hauswirtschaftspersonal (Arbeitnehmer, Leasingkräfte, Praktikanten und ehrenamtliche Mitarbeiter) der Einrichtung, sondern auch beispielsweise rechtliche Betreuer, Handwerker, Friseure, Podologen, freie Mitarbeiter wie beispielsweise Berater (wohl auch Betriebsratsanwälte) oder auch Verwaltungsmitarbeiter, sofern keine klare räumliche Abgrenzung zu den Bewohnern vorhanden ist.

Eine „Tätigkeit“ kann nur dann verneint werden, wenn jeglicher Kontakt zu den gefährdeten Personengruppen und zu den Mitarbeitern, die einen direkten Kontakt zu diesen gefährdeten Personengruppen haben, sicher ausgeschlossen ist. So beispielsweise bei räumlich getrennten oder in getrennten Gebäuden beschäftigten Verwaltungsmitarbeitern.

Nicht unter die Nachweispflicht fallen zum Beispiel Postboten, Paketzusteller und andere Personen, die sich lediglich für einen ganz unerheblichen Zeitraum in der Einrichtung aufhalten.

Von der Nachweispflicht ausgenommen sind auch Personen, die ausschließlich außerhalb der Einrichtung oder des Unternehmens am Gebäude Arbeiten durchführen. Für Minderjährige (Pflegeschüler) gilt keine Ausnahme von der Impfpflicht, zumal insoweit ein zugelassener und empfohlener Impfstoff besteht. Eine Ausnahme von der Impfpflicht aus religiösen Gründen sieht das Gesetz ebenfalls nicht vor.

Inhalt der Regelungen zur Impfpflicht
Bei der Anwendung der Regelungen zur Impfpflicht ist eine oftmals in der Praxis übersehene Unterscheidung zu beachten. Die gesetzlichen Regelungen differenzieren bei den Rechtsfolgen hinsichtlich solcher Mitarbeiter, die bereits vor dem 16.03.2022 in der Einrichtung tätig waren und solchen Mitarbeitern die ab dem 16.03.2022 in der Einrichtung tätig werden.

Legen betroffene Mitarbeiter, die bereits vor dem 16.03.2022 in der Einrichtung tätig waren ihrem Arbeitgeber nicht bis zum 15.03.2022 einen Impfnachweis über einen vollständigen Impfschutz / einen Genesenennachweis / eine Kontraindikationsbescheinigung (im Folgenden nur: Nachweis) vor, ist der Arbeitgeber in der Pflicht, unverzüglich das Gesundheitsamt zu benachrichtigen und die notwendigen personenbezogenen Daten des Mitarbeiters der Behörde zu übermitteln.

Bei Neueinstellen ab dem 16.03.2022 gilt: Personen, die tätig werden sollen, haben der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens vor Beginn ihrer Tätigkeit einen entsprechenden Nachweis vorzulegen.

Die erforderlichen Nachweise
Was ein gültiger Impfnachweis ist, regelt § 2 Nummer 3 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung. Hiernach liegt ein solcher vor, wenn die zugrunde liegenden Schutzimpfungen den vom Paul-Ehrlich-Institut im Benehmen mit dem Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse  „www.pei.de/impfstoffe/covid-19“  unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft veröffentlichten Vorgaben und Kriterien entsprechen. Soweit ein Nachweis seine Gültigkeit aufgrund Zeitablaufs verliert, muss der Arbeitnehmer einen neuen Nachweis innerhalb eines Monats nach Ablauf der Gültigkeit des bisherigen Nachweises vorlegen. Damit ist klar, dass das Gesetz den vollständigen Impfschutz verlangt und mithin spätestens am 01.03.2022 die erforderliche Anzahl von Impfungen erfolgt sein muss, damit die Karenzzeit von 14 Tagen bis zum Vollschutz eingehalten werden kann.

Der Genesenennachweis erfordert nach aktueller Rechtslage eine zugrundeliegende Testung durch eine Labordiagnostik mittels Nukleinsäurenachweis, die mindestens 28 Tage alt ist sowie maximal 90 Tage (und nicht, wie oft angenommen drei Monate) zurückliegt.

Was eine relevante medizinische Kontraindikation ist, lässt das Gesetz offen. Klar wird eine solche beispielsweise bei einer Allergie gegen einen Bestandteil der Impfstoffe zu bejahen sein. Nicht eindeutig geregelt ist, ob auch psychische Erkrankungen eine medizinische Kontraindikation begründen können. Welchen Anforderungen ein ärztliches Zeugnis über eine medizinische Kontraindikation im Einzelnen genügen muss, lässt das Gesetz ebenfalls offen. Nach der aktuellen Rechtsprechung zum Infektionsschutzgesetz muss ein Attest eine auf ihre Plausibilität nachprüfbare inhaltliche Aussage über die Kontraindikation treffen, aber keine Aussagen zu Befunden oder Diagnosen enthalten. Einem ärztlichen Attest kommt im Grundsatz ein hoher Beweiswert zu, der aber beim Vorliegen gewichtiger Indizien erschüttert werden kann. Dann muss die Person, die das Attest vorgelegt hat, den vollen Beweis erbringen, wofür ihr das Zeugnis des behandelnden Arztes als Beweismittel zur Verfügung steht, den sie dann von der Schweigepflicht entbinden muss. Es sind dubiose „ärztliche“ Kontraindikationsnachweise im Umlauf, die über diverse Homepages – teils gegen Bezahlung – nach Durchlaufen eines Online-Fragebogens heruntergeladen werden können. Diese Nachweise erfüllen regelmäßig nicht die geforderten Voraussetzungen. Hier gilt für Arbeitgeber „Augen auf!“. Brisant ist, dass der Arbeitgeber nach dem Gesetz unverzüglich das Gesundheitsamt benachrichtigen muss, wenn an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises Zweifel bestehen.

Die Prüfpflichten dürfen die Arbeitgeber nicht auf die leichte Schulter nehmen. Kommt es zu einem auf Nachlässigkeiten beruhenden Ausbruchsgeschehen, droht dem Arbeitgeber die (Mit-) Haftung.

Betretungs- und Tätigkeitsverbot? – Nicht zwingend und nicht automatisch
Was passiert, wenn ein Mitarbeiter bis zum 15.03.2022 seinem Arbeitgeber keinen geeigneten Nachweis vorlegt? Hierbei ist zwischen Bestandspersonal (Tätigkeitsbeginn vor dem 16.03.2022) und Neueinstellungen (Tätigkeitsbeginn ab dem 16.03.2022) zu unterscheiden.

Für Bestandspersonal regelt das Gesetz: Legt ein Mitarbeiter innerhalb einer angemessenen Frist den Nachweis nicht vor oder verweigert der Mitarbeiter die ärztliche Untersuchung zur medizinischen Kontraindikation, kann das Gesundheitsamt dem Mitarbeiter untersagen, dass er den Betrieb betritt oder in ihm tätig wird. Hier bleibt in der öffentlichen Diskussion unberücksichtigt, dass die Entscheidung über ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot im Ermessen („kann“) der Behörde steht. Dieses Ermessen muss die Behörde ausüben und es können je nach Situation Wochen oder gar Monate vergehen, bis im Einzelfall entsprechende Verfügungen ergehen. Arbeitgeber können betroffene Mitarbeiter in der Zwischenzeit nicht nur beschäftigen, sofern es das Hygienekonzept zulässt. Mehr noch: Es steht Arbeitgebern frei, ihre Mitarbeiter bei der Kommunikation mit dem Gesundheitsamt aktiv zu unterstützen und etwaige gegen ein Betretungsverbot sprechende Argumente vorzubringen. Hier ist an die Gefährdung der Versorgung der Bewohner durch Personalmangel zu denken und die Effektivität des Hygienekonzepts mit in die Waagschale zu werfen.

Für Neueinstellungen mit Beschäftigungsbeginn ab dem 16.03.2022 gilt entsprechend der gesetzlichen Regelung hingegen, dass der Nachweis bereits vor Beginn der Tätigkeit vorgelegt werden muss. Anderenfalls darf diese Person in der Einrichtung nicht beschäftigt werden, hier gilt also im Unterschied zu Bestandspersonal ein automatisches Beschäftigungsverbot.

Weitergehende Konsequenzen denkbar
Sofern der Mitarbeiter aufgrund eines vom Gesundheitsamt angeordneten Tätigkeits-/Betretungsverbot in der Einrichtung nicht mehr eingesetzt werden kann, seine Arbeitsleistung daher nicht erbringen kann und die Arbeitsleistung auch nicht von einem anderen Ort aus erbracht werden kann, verliert der Mitarbeiter seinen Anspruch auf Vergütung. Sofern sich der Mitarbeiter weigert, einen Nachweis vorzulegen, kann der Arbeitgeber den betroffenen Mitarbeiter auffordern, den Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist nachzureichen. Legt der Mitarbeiter dann immer noch keinen Nachweis vor, kommt im nächsten Schritt eine Abmahnung in Betracht wegen Verstoßes gegen die Vorlagepflicht. Weigert sich ein Mitarbeiter dauerhaft und beharrlich, den nach dem Gesetz erforderlichen Nachweis zu erbringen und kann deshalb in der Folge nicht beschäftigt werden, kommt als letztes Mittel eine personenbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber in Betracht. Voraussetzung einer solchen personenbedingten Kündigung ist indes, dass die Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers dauerhaft wegfällt. Wie die Arbeitsgerichte sich zu dieser Frage positionieren werden, wird auch davon abhängen, wie lange die Pandemie insgesamt noch andauern wird oder ob eine Verlängerung der derzeit bis Ende 2022 geltenden Regelung zu erwarten ist. Das weiß derzeit niemand. Und so ist zu erwarten, dass arbeitsgerichtliche Entscheidungen hierzu im Einzelfall völlig unterschiedlich ausfallen werden.

Ausblick
So kontrovers die Impfpflicht in der Pflege auch diskutiert wurde und diskutiert wird, sie wird aus unserer Sicht nicht zu einem massenhaften Austritt von Pflegekräften aus dem Arbeitsverhältnis führen.

Im Übrigen gehen wir von davon aus, dass die Impfpflicht in der Pflege nach den aktuellen tatsächlichen Gegebenheiten nicht verfassungswidrig ist.

[Update vom 02.02.2022]

Mittlerweile liegen dem Bundesverfassungsgericht Presseberichten zufolge erste Verfassungsbeschwerde gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht vor. Wann darüber entschieden wird, steht noch nicht fest.

Darüber hinaus hat eine im Verbraucherschutz tätige Kanzlei angekündigt, eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde – verbunden mit einem Eilantrag – zu organisieren.  Indes will das die Verbraucherkanzlei offenbar erst Anfang März machen („Teilnahme bis 28.02.22 möglich.“) Für bislang ungeimpftes Pflegepersonal, das sich jetzt die Frage „Impfen oder nicht?“ stellt, womöglich zu spät.

Über die weiteren Entwicklungen werden wir informieren.

Kategorie: Arbeitsrecht, Pflege & Recht, 20. Januar 2022



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