Außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit möglich

Außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit möglich


Arbeitsgericht (ArbG) Stuttgart
Urteil vom 22.10.2020 – 11 Ca 2950/20

Das Arbeitsgericht Stuttgart hat entschieden: Eine fristlose Änderungskündigung mit dem Ziel, eine Einführung von Kurzarbeit zu ermöglichen, kann im Einzelfall als betriebsbedingte Änderungskündigung nach § 626 BGB gerechtfertigt sein. Für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Kündigung sind insbesondere eine entsprechende Ankündigungsfrist und eine Begrenzung der Dauer der (möglichen) Kurzarbeit von Bedeutung sowie der Umstand, dass Kurzarbeit nur dann eingeführt werden kann, wenn die entsprechenden Voraussetzungen zur Gewährung von Kurzarbeitergeld auch in der Person der Arbeitnehmerin vorliegen.

Die Klägerin war bei einer betriebsratslosen Zeitarbeitsfirma für die Einsatzplanung tätig. Zuletzt war die Klägerin im Bereich Soziales und Pflege tätig und war insbesondere mit der Einsatzplanung für sowie mit der Abstimmung mit Kindergärten und Kindertagesstätten betraut. Mitte März 2020 kam es, wie allgemein bekannt, zu einer vorübergehenden Schließung der Kindergärten und Kindertagesstätten. Die Klägerin war seit dem 06.04.2020 bis jedenfalls 05.08.2020 durchgehend arbeitsunfähig gewesen. Am 09.04.2020 telefonierte die Geschäftsführerin der Beklagten mit der Klägerin und bat sie um Unterzeichnung einer Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit. Dies lehnte die Klägerin ab. Unter dem 22.04.2020 sprach die Arbeitgeberin daraufhin eine fristlose, hilfsweise ordentliche Änderungskündigung aus, die folgenden Wortlaut hatte:

„Sehr geehrte Frau B.,

hiermit kündigen wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos aus wichtigem Grund. Zugleich bieten wir Ihnen an, das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt des Zugangs dieses Kündigungsschreibens wie folgt fortzusetzen:

1. Die S. S. GmbH (nachfolgend „AG“ genannt) ist berechtigt, für die Zeit vom 18.05.2020 bis voraussichtlich dem 31.12.2020 Kurzarbeit anzuordnen, sofern ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt, der auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht und der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt ist, und sämtliche weiteren Voraussetzungen für einen Anspruch von Frau C. B. (nachfolgend „AN“ genannt) auf Kurzarbeitergeld vorliegen (§§ 95 ff. SGB III).

2. Den Beginn und das Ende der Kurzarbeit sowie die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit während des Zeitraums der Kurzarbeit wird AG unter Wahrung einer Ankündigungsfrist von drei Wochen in Textform AN mitteilen.

Die Verteilung der im Zeitraum der Kurzarbeit verbleibenden Arbeitszeit auf die einzelnen Kalendertage sowie die Lage der täglichen Arbeitszeit richten sich nach den betrieblichen Erfordernissen und den Weisungen von AG.

3. Für den Zeitraum der Kurzarbeit reduziert sich die Vergütung von AN entsprechend der Reduzierung der Arbeitszeit.

4. Im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen.

Bitte teilen Sie uns unverzüglich mit, ob Sie mit der Fortsetzung Ihres Arbeitsverhältnisses zu den vorstehend unter Ziff. 1 bis 4 genannten, geänderten Bedingungen ab dem Zeitpunkt des Zugangs dieses Kündigungsschreibens einverstanden sind, diese ablehnen oder sie unter Vorbehalt annehmen.

Nur für den Fall der Rechtsunwirksamkeit der vorstehend erklärten außerordentlichen und fristlosen Kündigung kündigen wird das von Ihnen begründete Arbeitsverhaltnis hiermit hilfsweise ordentlich und fristgerecht zum 31.07.2020 und bieten Ihnen an, das Arbeitsverhältnis ab dem 01.08.2020 wie folgt fortzusetzen:

5. AG ist berechtigt, für die Zeit vom 01.08.2020 bis voraussichtlich dem 31.12.2020 Kurzarbeit anzuordnen, sofern ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt, der auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht und der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt ist, und sämtliche weiteren Voraussetzungen für einen Anspruch von AN auf Kurzarbeitergeld vorliegen (§§ 95 ff. SGB III).

6. Den Beginn und das Ende der Kurzarbeit sowie die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit während des Zeitraums der Kurzarbeit wird AG unter Wahrung einer Ankündigungsfrist von drei Wochen in Textform AN mitteilen.

Die Verteilung der im Zeitraum der Kurzarbeit verbleibenden Arbeitszeit auf die einzelnen Kalendertage sowie die Lage der täglichen Arbeitszeit richten sich nach den betrieblichen Erfordernissen und den Weisungen von AG.

7. Für den Zeitraum der Kurzarbeit reduziert sich die Vergütung von AN entsprechend der Reduzierung der Arbeitszeit.

8. Im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen.

(…)“

Die außerordentliche Änderungskündigung zur Möglichkeit der Einführung von Kurzarbeit in der Zeit vom 18.05.2020 bis 31.12.2020 war nach dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart gerechtfertigt. Eine betriebsbedingte ordentliche Änderungskündigung ist grundsätzlich sozial gerechtfertigt, wenn dringende betriebliche Erfordernisse das Änderungsangebot bedingen. Zudem muss der Arbeitgeber sich darauf beschränken, dem Arbeitnehmer nur solche Änderungen anzubieten, die dieser billigerweise hinnehmen muss. Ob der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung billigerweise hinnehmen muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ermitteln. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags an die verbliebenen Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Die angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom bisherigen Inhalt des Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist. Für die außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung ist darüber hinaus entscheidend, ob die zugrundeliegende Organisationsentscheidung die vorgeschlagene Änderung erzwingt oder ob sie im Wesentlichen auch ohne oder mit weniger einschneidenden Änderungen im Arbeitsvertrag des Gekündigten durchsetzbar bleibt.

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Änderungskündigung bei Entgeltreduzierung findet in der vorliegenden Konstellation keine Anwendung, so das Gericht.  Wenn ein Betriebsrat nicht besteht und eine individualvertragliche Regelung aufgrund Ablehnung der Arbeitnehmerseite ausscheidet, bleibt nur noch die Möglichkeit zur Änderungskündigung, um den Zugang zum vorgesehenen und auch beschäftigungspolitischen gewünschten Kurzarbeitergeld nicht „zu verbauen“. Durch die coronabedingte Schließung der Kindergärten (und die Abmeldung bzw. Nichtbeschäftigungsmöglichkeit der Leiharbeitnehmer in diesem Bereich) ist es hier zu einer erheblichen Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs gekommen, die die Klägerin nicht einfach pauschal bestreiten kann. Die Änderungskündigung wahrt im Übrigen auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es besteht eine Vorlauffrist von über drei Wochen und die Einführungsmöglichkeit wurde zeitlich begrenzt (bis zum 31.12.2020).

Für die Zulässigkeit einer fristlose Änderungskündigung spricht  die Überlegung, dass ein Verweis auf – wie hier – längere Kündigungsfristen und damit die ordentliche Kündigung bei der Einführung von Kurzarbeit aufgrund drohendem Zeitablauf für den Arbeitgeber zu einer nicht möglichen sinnvollen Nutzung der Regelungsinstrumentarien der Kurzarbeit führt. Dies gilt zudem gerade in der coronabedingten Situation, bei der die Schließung der Einrichtungen wie hier ohne längere Ankündigung (und damit ohne Planbarkeit) vollzogen wurde und dies sich unvorhersehbar kurzfristig auf den Arbeitsbedarf ausgewirkt hat.  Mildere Maßnahmen waren nicht ersichtlich. Es musste hier nicht entschieden werden, ob etwa ein Abbau von Urlaub bzw. etwaigem Überstundenguthaben konkret in der Position der Klägerin vor Kurzarbeit hätte erfolgen müssen. Dies berücksichtigt die Änderungskündigung gerade, in der es nur um die Möglichkeit einer generellen Einführung von Kurzarbeit geht mit der späteren Möglichkeit einer konkreten Umsetzungsentscheidung (soweit die persönlichen Voraussetzungen vorliegen, wobei auch hier noch eine weitere Ankündigungsfrist von 3 Wochen zu wahren ist, was wiederum die Verhältnismäßigkeit der Änderungskündigung unterstreicht).

 

Kategorie: Arbeitsrecht, 22. Dezember 2020



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