BAG: Kündigung wegen Stellung eines Strafantrags kann gerechtfertigt sein

BAG: Kündigung wegen Stellung eines Strafantrags kann gerechtfertigt sein


Bundesarbeitsgericht (BAG)
Urteil vom 15.12.2016 – 2 AZR 42/16

Ein Arbeitnehmer, der gegen seinen Arbeitgeber einen Strafantrag stellt, verletzt schuldhaft seine Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn die Vorwürfe gegen den Arbeitgeber erkennbar haltlos sind. Eine hierauf gestützte ordentliche verhaltensbedingte Kündigung war nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts gerechtfertigt.

Die Klägerin war als Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht bei der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung seit 2003 als Lehrbeauftragte angestellt. Im März 2012 wurden ua. die Lehrveranstaltungen der Klägerin nach Maßgabe einer für den Fachbereich Sozialversicherung erlassenen Evaluationsordnung (EVO) bewertet und die Ergebnisse an andere Mitarbeiter der Beklagten weitergeleitet. Die Klägerin hielt die durchgeführten Maßnahmen wegen der aus ihrer Sicht nicht ordnungsgemäßen Bestellung eines Evaluationsbeauftragten für rechtswidrig und ließ mit anwaltlichem Schreiben vom 4. Juni 2012 Strafantrag gegen „Unbekannt“ stellen wegen eines Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren aber ein.

Nachdem die Beklagte von dem Strafantrag erfahren hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2014. Mit der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage unterlag die Klägerin in allein drei Instanzen, so auch zuletzt vor dem BAG.

Die Beklagte konnte das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen kündigen. Eine solche Kündigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und schuldhaft verletzt hat, so dass eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses über die Kündigungsfrist hinaus unter Abwägung beiderseitiger Interessen für den Arbeitgeber nicht zumutbar ist. Eine erhebliche Verletzung kann auch aus der Verletzung der Pflicht des Arbeitnehmers zur Rücksichtnahme auf die Arbeitgeberinteressen aus §241 Abs. 2 BGB herrühren. Die Klägerin hat mit der Stellung des Strafantrags erheblich gegen ihre Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen. Eine Strafantragsstellung des Arbeitnehmers wegen eines vermeintlichen strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers stellt zwar grundsätzlich keinen Grund für eine wirksame verhaltensbedingte Kündigung dar. Hierin liegt schließlich nur eine zulässige Wahrnehmung seiner Rechte, soweit keine falschen Angaben erfolgen. Das gilt jedoch nicht, wenn wie im vorliegenden Fall trotz richtiger Darstellung des Sachverhalts die für den Straftatbestand erforderliche Schädigungsabsicht offensichtlich fehlt und der Strafantrag daher unangemessen ist. Im Streitfall war für die Klägerin erkennbar, dass eine solche Absicht des Arbeitgebers nicht gegeben war. Der Strafantrag der Klägerin entbehrte daher jeglicher Grundlage.

Die Pflichtverletzung gem. § 241 Abs. 2 BGB ist aufgrund der Erkennbarkeit der Haltlosigkeit der Vorwürfe auch schuldhaft und der Klägerin vorwerfbar. Die Klägerin handelte fahrlässig und unterließ eine Überprüfung der offensichtlich erkennbaren Umstände. Einem Verschulden steht nicht entgegen, dass sich die Klägerin bei Stellung des Strafantrags hat anwaltlich vertreten lassen. Sie hat weder behauptet, dass Gegenstand der anwaltlichen Beratung die ihr als Arbeitnehmerin obliegenden Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gewesen seien, noch hat sie dargelegt, welche rechtliche Auskunft sie über die Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach § 44 Abs. 1 BDSG erhalten habe. Zudem hätten der Klägerin zunächst andere wirksame, mildere Mittel wie etwa eine innerbetriebliche Klärung zur Verfügung gestanden. Die Reaktion der Klägerin war somit auch unverhältnismäßig. An einer Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme fehlt es auch nicht deshalb, weil die Klägerin den Strafantrag gegen „Unbekannt“ gerichtet hat. Denn die Klägerin hat einen klar erkennbaren Zusammenhang des Strafantrags mit Repräsentanten der Beklagten hergestellt und damit die Ermittlungen gegen die Beklagte bzw. deren Repräsentanten am Fachbereich Sozialversicherung lenken wollen.

 

 

Kategorie: Arbeitsrecht, 16. Mai 2017



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