BGH: Das Betreiben eines Eltern-Kind-Zentrums in einer Wohnungs- und Teileigentumsanlage ist zulässig

BGH: Das Betreiben eines Eltern-Kind-Zentrums in einer Wohnungs- und Teileigentumsanlage ist zulässig


Bundesgerichtshof (BGH)
Urteil vom 13. Dezember 2019 – V ZR 203/18

Der V. Zivilsenat des BGH entschied vor Kurzem, dass in einer Teileigentumseinheit, die in der Teilungserklärung als „Laden mit Lager“ bezeichnet ist, ein Eltern-Kind-Zentrum betrieben werden darf. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Kläger sind Mitglieder einer Wohnungs- und Teileigentümergemeinschaft in einer deutschen Großstadt. Ihre Wohnung befindet sich im ersten Obergeschoss. Der Beklagte – ein eingetragener Verein – ist Mieter einer unmittelbar darunter im Erdgeschoss belegenen Teileigentumseinheit, die nach der Teilungserklärung aus dem Jahr 1987 als „Laden mit Lager“ genutzt werden darf. Dort betreibt er ein sog. Eltern-Kind-Zentrum. Dessen Ziel ist es laut Satzung des Beklagten unter anderem, der zunehmenden Isolation von Eltern entgegenzuwirken, die sich aus der Situation der Familien in der Großstadt ergibt. Geöffnet ist das Zentrum montags bis freitags zwischen 9.00 Uhr und 18.00 Uhr. Vormittags findet ein „Mini-Kindergarten“ für Kinder im Alter zwischen 18 und 36 Monaten statt, montags und freitags des Weiteren der Kurs „Deutsch als Fremdsprache“ für Eltern. Nachmittags veranstaltet der Beklagte ein „offenes Spielzimmer“ für Kinder und Familienangehörige mit Kaffee und Kuchen sowie Spielecke, ferner weitere Kinderkurse (Zeichenkurse, Musikkurse, Zumba Kids). Überwiegend nachmittags finden sog. offene Spielgruppen in verschiedenen Sprachen für Kinder und Eltern statt. Samstags treffen sich von 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr die „Scuola Italiana“ für Kinder von 4 bis 6 Jahren und einmal pro Monat von 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr die „Girl Scouts“ (Pfadfinderinnen von der zweiten bis zur achten Jahrgangsstufe). Unregelmäßig finden Kinderfeiern, z.B. Faschingsfeiern, Flohmärkte und Vorträge statt.

Die Kläger verlangten von dem Beklagten die Unterlassung der Nutzung der Räumlichkeiten als Eltern-Kind-Zentrum. Hilfsweise sollte der Beklagte es unterlassen, auf einer näher bezeichneten Außenfläche vor der Teileigentumseinheit Kinderwagen und Fahrräder abzustellen; zudem sollte er durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass die Immissionen in der Wohnung der Kläger einen Pegel von 52 dB (A) nicht überschreiten. Das LG gab dem Hauptantrag statt. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten vor dem OLG blieb erfolglos. Mit der von dem BGH zugelassenen Revision verfolgte der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Der BGH gab der Revision des Beklagten statt und wies die Klage im Hauptantrag ab. Hinsichtlich der Hilfsanträge wies er die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück. Maßgeblich waren folgende Überlegungen:

Ein Wohnungseigentümer könne von dem Mieter einer anderen Einheit gemäß § 1004 Abs. 1 BGB Unterlassung verlangen, wenn dieser die Einheit anders nutze als in der Teilungserklärung vorgesehen. Das gelte zwar dann nicht, wenn die tatsächliche Nutzung bei typisierender Betrachtung nicht mehr störe als die erlaubte Nutzung. Geräusche, die von einem Eltern-Kind-Zentrum ausgehen, seien angesichts der dort für gewöhnlich stattfindenden Aktivitäten aber typischerweise lauter und störender als die eines Ladens mit Lager.

Dass die Kläger gleichwohl nicht Unterlassung der Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum verlangen können, beruhe auf der Ausstrahlungswirkung des § 22 Abs. 1a Satz 1 BImSchG auf das Wohnungseigentumsrecht. Nach dieser Bestimmung sind Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen, wie beispielsweise Ballspielplätzen, durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Dies sei regelmäßig auch bei der Prüfung zu beachten, ob eine nach der Teilungserklärung ausgeschlossene Nutzung dennoch zulässig sei, weil sie bei typisierender Betrachtungsweise nicht mehr störe als die vorgesehene Nutzung, und zwar auch dann, wenn die Teilungserklärung vor dem Inkrafttreten von § 22 Abs. 1a BImSchG errichtet wurde.

Etwas anderes gelte nur dann, wenn die Nutzung der Einheiten als Einrichtung i.S.d. § 22 Abs. 1a BImSchG ausdrücklich oder konkludent ausgeschlossen sei. So liege es beispielsweise, wenn eine Anlage nach der Teilungserklärung als sog. Ärztehaus konzipiert ist; denn die Nutzung einer Einheit als Kindertageseinrichtung widerspräche unabhängig von ihrem Störungspotential dem professionellen Charakter einer solchen Anlage. Zudem stehe § 22 Abs. 1a BImSchG einem Unterlassungsanspruch der Wohnungseigentümer nicht entgegen, wenn die Nutzung als Kindertageseinrichtung auch unter Berücksichtigung der von § 22 Abs. 1a BImSchG gewährten Privilegierung mehr störe als die nach der Zweckbestimmung zulässige. Im Hinblick auf den erhöhten Publikumsverkehr, den eine Kindertageseinrichtung mit sich bringe, werde deshalb eine Wohneinheit regelmäßig nicht zu diesem Zweck genutzt werden dürfen; anders könne es wiederum bei einer Tagesmutter liegen. Diese Ausnahmen liegen hier aber nicht vor, weil es um die Nutzung einer Teileigentumseinheit in einer gemischten Anlage geht, in der sowohl eine Wohnnutzung stattfinde als auch Teileigentumseinheiten vorhanden sind, die als Büros und Läden genutzt werden dürfen.

Das von dem Beklagten betriebene Eltern-Kind-Zentrum sei eine Kindertageseinrichtung bzw. jedenfalls eine „ähnliche“ Einrichtung i.S.d. § 22 Abs. 1a BImSchG. Dem stehe nicht entgegen, dass die Angebote teilweise – neben den Angeboten nur für Kinder (Mini-Kindergarten, Zeichenkurse, Musikkurse, Zumba Kids, Scuola Italiana, Treffen der „Girl Scouts“ und unregelmäßig stattfindende Kinderfeiern) – unter Beteiligung von Familienmitgliedern durchgeführt werden (offene Spielzimmer und offene Spielgruppen) und auch den Austausch der Eltern untereinander fördern sollen. Unerheblich für die Anwendung des § 22 Abs. 1a BImSchG sei ferner, dass das Eltern-Kind-Zentrum zusätzlich zu den nach dieser Vorschrift privilegierten Angeboten auch Angebote ausschließlich an die Eltern macht, solange diesen – wie hier – eine nur untergeordnete Bedeutung zukomme. Der Begriff der Kindertageseinrichtung bzw. einer ähnlichen Einrichtung dürfe nicht zu eng gefasst werden. Nur ein offenes Verständnis entspreche dem gesetzgeberischen Ziel, durch § 22 Abs. 1a BImSchG eine Privilegierung von „grundsätzlicher Natur“ zu schaffen und vor dem Hintergrund, dass Kinderlärm unter einem besonderen Toleranzgebot stehe, ein klares gesetzgeberisches Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft zu setzen. Blieben die insoweit privilegierten Geräuscheinwirkungen außer Betracht, gingen bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise die mit dem Betrieb des Eltern-Kind-Zentrums verbundenen Störungen nicht über das hinaus, was bei dem Betrieb eines Ladens regelmäßig zu erwarten sei.

Zur Entscheidung über die Hilfsanträge wies der BGH die Sache an das Berufungsgericht zurück. Dass die Kläger von dem Beklagten nicht die Unterlassung der Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum verlangen können, schließe nämlich Unterlassungsansprüche gemäß § 1004 Abs. 1 BGB wegen einzelner besonders störender Handlungsweisen nicht aus.

Kategorie: Eigentumsrecht, 16. Dezember 2019



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