BGH: Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit der Entnahme von Guthaben auf einem Kapitalkonto eines Kommanditisten

BGH: Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit der Entnahme von Guthaben auf einem Kapitalkonto eines Kommanditisten


Bundesgerichtshof (BGH)
Urteil vom 17.12.2020 – IX ZR 122/19

Der BGH hat entschieden, dass die Entnahme von Guthaben auf einem Kapitalkonto des Kommanditisten grundsätzlich anfechtbar ist. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang die Auslegung des Gesellschaftervertrages. Ergibt die Auslegung, dass das Guthaben keine Beteiligung des Kommanditisten, sondern eine schuldrechtliche Forderung aufweist, ist die Entnahme anfechtbar, wenn ab dem Gewinnverwendungsbeschluss der Gesellschaft drei Monate oder mehr vergangen sind. Es wird davon ausgegangen, dass in diesem Zeitraum die Forderung des Kommanditisten der Gesellschaft gestundet wurde.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger war Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin, einer GmbH & Co. KG. An der Schuldnerin waren der Mitgesellschafter O und der Beklagte als Kommanditisten beteiligt. O und der Beklagte hielten zudem jeweils 50 % der Gesellschaftsanteile an der Komplementär-GmbH. Die Schuldnerin führte nach § 10 des Gesellschaftsvertrages jeweils ein festes Kapitaleinlagekonto (Kapitalkonto I), ein gesamthänderisch gebundenes Kapitalrücklagekonto (Kapitalkonto II), ein gesamthänderisch gebundenes Gewinnrücklagen- und Verrechnungskonto (Kapitalkonto III) und ein variables Privatkonto (Verrechnungskonto) für die Gesellschafter. Eine Verrechnung mit Verlustanteilen war ausdrücklich für die nicht verzinslichen Kapitalkonten II und III festgesetzt. Auf das verzinsliche variable Privatkonto waren insbesondere Gewinngutschriften und –entnahmen zu buchen.

Im Jahr 2013 beschloss die Gesellschafterversammlung der Schuldnerin, den Jahresüberschuss aus dem Jahr 2012 auf die Verrechnungskonten der Kommanditisten gutzuschreiben. Die Gutschrift erfolgte im Verhältnis der Kommanditisteneinlagen. Auf dem Verrechnungskonto des Beklagten wurden 400.000 € gutgeschrieben. Das Verrechnungskonto des Beklagten wies zu diesem Zeitpunkt ein Guthaben von insgesamt ca. 730.000 € aus.

Der Beklagte erwarb durch notariellen Vertrag sämtliche Anteile des O an der Schuldnerin und der Komplementär-GmbH. Der Gesamtkaufpreis betrug 250.000 €. Die Schuldnerin entrichtete an den Beklagten zulasten seines Verrechnungskontos den vorbezeichneten Betrag. Der Beklagte leitete den Betrag an O zur Tilgung des Kaufpreises weiter. Ab dem Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses waren bereits acht Monate vergangen.

Der Kläger fochte die Auszahlung der Schuldnerin an. Der Klage auf Rückzahlung gegen den Beklagten gaben die Vorinstanzen statt.

Der BGH wies die Revision des Beklagten zurück. Nach Auffassung des entscheidenden Senates sei die Gewinnauszahlung an den Beklagten nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar. Nach der Insolvenzordnung seien neben Forderungen auf Rückführung von Gesellschaftsdarlehen auch Forderungen aus Rechtshandlungen anfechtbar, die wirtschaftlich einem Darlehen entsprechen. Dies sei dann der Fall, wenn unabhängig des Rechtsgrundes der Gesellschaft Forderungen rechtlich oder rein faktisch gestundet werden. Denn eine Stundung bewirke bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Darlehensgewährung.

Werde die Leistung jedoch bargeschäftlich abgewickelt, scheide eine rechtliche oder rein faktische Stundung aus. Hingegen handele es sich grundsätzlich um eine darlehensgleiche Forderung, wenn die Forderung eines Gesellschafters über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten rechtsgeschäftlich oder faktisch zugunsten der Gesellschaft gestundet werde.

Nach Auffassung des Gerichts liege eine darlehensgleiche Forderung vor, wenn ein Gewinnanspruch des Gesellschafters durch einen Gewinnverwendungsbeschluss begründet, die Gewinnforderung aber stehen gelassen werde. Der Gewinnanspruch des Gesellschafters aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft entstehe mit dem Gewinnverwendungsbeschluss in der Gesellschafterversammlung. Ab dem Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Gewinnverwendung werde der Auszahlungsanspruch dem Vermögen des jeweiligen Gesellschafters zugeordnet. Mit diesem Zeitpunkt entstehe der Gewinnanspruch als Gläubigeranspruch.

Vorliegend habe das Guthaben auf dem Verrechnungskonto des Beklagten eine schuldrechtliche Forderung des Beklagten gegen die Schuldnerin dargestellt. Da die Forderung über mehr als acht Monate auf dem Verrechnungskonto stehen gelassen wurde, handele es sich bei der Auszahlung der 250.000 € um eine Rückgewähr einer Forderung, die einem Darlehen wirtschaftlich entspreche (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO).

In der vorbezeichneten Forderung liege auch kein Ausweis der Beteiligung des Beklagten an der Schuldnerin vor. Wenn eine Kommanditgesellschaft mehrere Konten mit verschiedenen Bezeichnungen für ihre Kommanditisten führe, sei durch Auslegung des Gesellschaftsvertrages zu ermitteln, welche Rechtsnatur die einzelnen Konten hätten. Die Kontenbezeichnung sei nicht für die rechtliche Qualifikation ausreichend. Maßgeblich sei der Wille der Gesellschafter sowie der Zweck der Kontoeinrichtung, der sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebe.

Entscheidende Bedeutung für die Einordnung eines Guthabens auf einem Kapitalkonto eines Kommanditisten als Ausweis einer Beteiligung oder eines Forderungsrechts komme dem Umstand zu, ob Verluste das Konto belasten dürfen oder ob sie von einem anderen Kapitalkonto abzusetzen oder einem Verlustsonderkonto zuzuschreiben seien.

Hier wurden auf das als Kapitalrücklagenkonto geführte Kapitalkonto II Einlagen der Gesellschafter gebucht. Die Einlagen auf dem Kapitalkonto II dienten dazu, schon erlittene Verluste oder künftige Verluste der Gesellschaft auszugleichen. Auf das als Gewinnrücklage- und Verlustvortragskonto geführte Kapitalkonto III wurden Teile des Jahresüberschusses gebucht.

Demgegenüber wurden nach dem Gesellschaftsvertrag über das Privatkonto insbesondere Gewinngutschriften und -entnahmen gebucht. Eine Verlustverrechnung mit dem Guthaben auf den Privatkonten der Gesellschafter sei – anders als bei den Kapitalkonten II und III – nicht ausdrücklich vorgesehen.

Die in dem Gesellschaftsvertrag vorgesehene Entnahmebeschränkung, wonach die Gesellschafter ohne vorherigen Beschluss der Gesellschafterversammlung von ihrem Privatkonto 50 vom Hundert der auf sie entfallenden Gewinne zuzüglich eines Betrages, der der auf ihre Beteiligung zu entrichtenden Einkommensteuer entspricht, (nur) nach Ausgleich ihrer Verlustkonten entnehmen können und weitergehende Entnahmen einer Beschlussfassung der Gesellschafter bedürfen, bewirke keine Beteiligung der Guthaben auf den Privatkonten an den Verlusten der Gesellschaft. Entnahmebeschränkungen in Gesellschaftsverträgen seien nichts Ungewöhnliches, sondern werden häufig zur Erhaltung der Liquidität der Gesellschaft vereinbart und setzen gerade voraus, dass die Gesellschafter sonst Anspruch auf eine sofortige Auszahlung haben würden.

Kategorie: Gesellschaftsrecht / Handelsrecht, 22. Januar 2021



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