BGH: Kein gewohnheitsrechtliches Wegerecht aufgrund jahrzehntelanger Duldung durch den Nachbarn

BGH: Kein gewohnheitsrechtliches Wegerecht aufgrund jahrzehntelanger Duldung durch den Nachbarn


Bundesgerichtshof (BGH)
Urteil vom 24.01.2020 – V ZR 155/18

Der V. Zivilsenat des BGH entschied erst vor Kurzem, dass im Verhältnis einzelner Grundstücksnachbarn ein Wegerecht nicht aufgrund Gewohnheitsrechts durch eine – sei es auch jahrzehntelange – Übung entstehen kann. Außerhalb des Grundbuchs kann ein Wegerecht nur aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung oder als Notwegrecht unter den Voraussetzungen des § 917 BGB bestehen.

Die Kläger in dem vorgenannten Rechtsstreit sind Eigentümer dreier nebeneinander an einer öffentlichen Straße liegender Grundstücke, die mit drei aneinandergrenzenden Häusern bebaut sind. Im rückwärtigen Teil dieser Grundstücke befinden sich Garagen, die baurechtlich nicht genehmigt sind.

Die Beklagte ist Eigentümerin von Grundstücken, auf denen sich ein Weg befindet, über den die Kläger die Garagen und die rückwärtigen Bereiche ihrer vorne über die Straße erschlossenen Grundstücke erreichen. Eine Nutzung des Weges wurde seit Jahrzehnten durch frühere Eigentümer der Grundstücke und nach dem Eigentumsübergang auf die Beklagte durch diese selbst geduldet. Zum Ende 2016 erklärte die Beklagte gegenüber den Klägern die „Kündigung des Leihvertrages über das vor über 30 Jahren bestellte, schuldrechtliche Wegerecht“. Sie kündigte an, den Weg zu sperren und begann mit dem Bau einer Toranlage.

Das LG verpflichtete die Beklagte, es zu unterlassen, die Kläger an der Nutzung des Weges zu hindern, insbesondere durch das Anbringen eines Tores mit Schließanlage. Das OLG wies die Berufung der Beklagten zurück und begründete dies damit, dass die Kläger aufgrund eines zu ihren Gunsten bestehenden Gewohnheitsrechts zur Nutzung des Zuwegs zum rückwärtigen Bereich ihrer Grundstücke berechtigt seien.

Der V. Zivilsenat des BGH hob nun das angefochtene Urteil auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Denn die Kläger könnten sich nämlich nicht auf Gewohnheitsrecht berufen.

Als ungeschriebenes Recht enthalte das Gewohnheitsrecht eine generell-abstrakte Regelung; diese müsse über den Einzelfall hinausweisen. Zwar müsse Gewohnheitsrecht kein „Jedermann-Recht“ sein. In dem Unterfall der sog. Observanz, bei der es sich um ein örtlich begrenztes Gewohnheitsrecht handele, könne aber dieses auch im Verhältnis einer begrenzten Zahl von Eigentümern und Pächtern zueinander entstehen, etwa nur für eine Gemeinde oder die Mitglieder einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft.

Gewohnheitsrecht könne zwar als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle allgemeiner Art nur zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht aber beschränkt auf ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn. In einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn könne ein Wegerecht nach dem BGB außerhalb des Grundbuchs nur aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung oder als Notwegrecht unter den Voraussetzungen des § 917 BGB entstehen, nicht aber durch eine – sei es auch jahrzehntelange – Übung unter Grundstücksnachbarn.

Das OLG wird zu prüfen haben, ob den Klägern gemäß § 917 Abs. 1 BGB ein Notwegrecht zusteht. Dies wäre dann der Fall, wenn die ordnungsmäßige Benutzung ihrer Grundstücke eine Zufahrt über die Grundstücke der Beklagten erforderlich machen würde. Soweit die Grundstücke nur zu Wohnzwecken genutzt werden, werde ein Notwegrecht allerdings schon deshalb ausscheiden, weil die im hinteren Bereich der Grundstücke der Kläger befindlichen Garagen baurechtlich nicht genehmigt und mangels Erschließung auch nicht genehmigungsfähig seien. Soweit die Grundstücke gewerblich genutzt werden, käme ein Notwegrecht hingegen grundsätzlich in Betracht, da bei einem Gewerbegrundstück etwa Be- und Entladevorgänge sowie das Abstellen von Kraftfahrzeugen auf dem verbindungslosen Grundstücksteil für die ordnungsmäßige Benutzung erforderlich seien und damit für diesen Teil eine Zufahrt erforderlich machen könnten.

Kategorie: Nachbarrecht, 28. Januar 2020



zurück