BGH: Mutterkonzern VW haftet auf Schadensersatz im Dieselskandal

BGH: Mutterkonzern VW haftet auf Schadensersatz im Dieselskandal


Bundesgerichtshof (BGH)
Urteil vom 27.07.2021 – VI ZR 151/20

Der BGH hat entschieden, dass die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen im Grundsatz zwar der jeweilige Anspruchssteller zu tragen hat. Dieser Grundsatz erfährt jedoch eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Umstände kennt und es ihm leicht möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchsstellers nach § 138 Absatz 3 ZPO als zugestanden.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger erwarb im August 2013 von einem Autohaus einen gebrauchten Skoda Superb 2.0 TDI zu einem Kaufpreis in Höhe von 21.500,- €. Das Fahrzeug war mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Die Beklagte war die Herstellerin des Motors. Der Motor verfügte über eine Motorsteuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchlief, und in diesem Fall eine höhere Abgasrückführungsrate und einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte.

Der Kläger nimmt die Beklagte als Motorenherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Berufungsgerichts stünden dem Kläger keine Schadensersatzansprüche zu. Die Beklagte hafte nicht nach § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB und auch ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus. Für beide Anspruchspositionen habe der Kläger den Vorsatz der Beklagten -beziehungsweise eines verfassungsmäßigen Vertreters- nicht nachweisen können. Er habe zwar hinreichend konkret, schlüssig und substantiiert dargelegt, dass der damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten vorsätzlich gehandelt habe. Doch habe der zuvor Genannte als Zeuge zu Recht von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nummer 2 ZPO Gebrauch gemacht. Der Kläger könne sich auch nicht auf den Grundsatz der sekundären Darlegungslast berufen. Die sekundäre Darlegungslast diene dazu, der darlegungs- und beweisbelasteten Partei darüber hinwegzuhelfen, dass sie den erforderlichen Vortrag wegen mangelnder Kenntnis nicht erbringen könne, während dies der anderen Partei möglich und zumutbar sei. Dessen Anwendung bedürfe es jedoch nicht, wenn die darlegungspflichtige Partei -wie hier im Streitfall- in der Lage sei, die anspruchsbegründenden Tatsachen vorzutragen.

Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide zudem aus, weil der hier geltend gemachte Schaden (Abschluss eines Kaufvertrages) nicht von dem Schutzzweck des § 826 BGB gedeckt werde.
Auch fehle es für diesen Anspruch an einem sittenwidrigen Verhalten von den für die Beklagte handelnden Personen im Verhältnis zu den Endkunden. In Anbetracht einer Gesamtwürdigung könne das Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit der oben beschriebenen Umschaltlogik nicht als Täuschung durch positives Tun qualifiziert werden. Eine etwaige Pflicht zur Aufklärung über den Einsatz der „Schummelsoftware“ habe jedenfalls keine solche Schwere, dass eine Aufklärung einem sittlichen Gebot entspreche. Zudem seien erhebliche wertbildende Faktoren nicht verletzt – der Kläger nutze das Fahrzeug seit dem Kauf legal und eingeschränkt.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Mit Erfolg.

Nach der Auffassung des zuständigen Senats des BGH halten die Erwägungen der Vorinstanz der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB könne nicht mit der zuvor angeführten Begründung abgelehnt werden.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Verhältnis zum Kläger auf der Grundlage des Sachvortrags des Klägers als sittenwidrig zu qualifizieren. Dabei sei unerheblich, dass es vorliegend um ein Fahrzeugmodell einer Tochtergesellschaft der Beklagten gehe, die Beklagte also nicht das Fahrzeug in den Verkehr gebracht habe, sondern nur den darin eingebauten Motor hergestellt und an ihre Tochtergesellschaft veräußert habe.

Ein Anspruch des Klägers scheide nicht deshalb aus, weil er nicht habe beweisen können, dass der damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten den Tatbestand der anspruchsbegründenden Norm erfüllt habe. Zwar habe im Grundsatz -wie zutreffend von der Vorinstanz ausgeführt- der jeweilige Anspruchssteller die volle Darlegungs- und Beweislast zu tragen. Dieser Grundsatz erfahre jedoch eine Einschränkung, wenn die primär beweisbelastete Partei -hier der Kläger- keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat. Genügt der Prozessgegner seiner daraus resultierenden sekundären Beweislast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchsstellers nach § 138 Absatz 3 ZPO als zugestanden. Nach diesem Grundsatz treffe die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen habe und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte. Diese Fragen betreffen unternehmerische Abläufe und Entscheidungsprozesse, die sich der Kenntnis und dem Einblick des Klägers entziehen.

Der vom Kläger geltend gemachte Schaden liege auch nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 826 BGB. Ein Schaden im Sinne des § 826 BGB könne auch in einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung -wie hier dem Kaufvertrag über das entsprechende Kfz- liegen.

Rechtsfehlerhaft habe das Berufungsgericht angenommen, es fehle an einem sittenwidrigen Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen. Als sittenwidrig sei auch zu beurteilen, wenn ein Motorenhersteller einen Motor im eigenen Kosten- und Gewinninteresse mit einer unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielenden und eigens zu diesem Zweck entwickelten Steuerungssoftware ausstattet und diesen Motor in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass er von dem Erwerber -seiner Tochtergesellschaft- in ein Fahrzeug verbaut und dieses an einen arglosen Käufer veräußert werden wird. Dieses Verhalten stehe wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung gegenüber den Personen gleich, die ein solches Fahrzeug in Unkenntnis dieses Umstands und vor den Maßnahmen der Beklagten zur Information der Öffentlichkeit im September 2015 erworben haben.

Das Berufungsurteil sei demnach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung zurückzuverweisen.

Kategorie: Kaufrecht, 19. Oktober 2021



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