BGH: Verbraucher dürfen ihren Kredit bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung auch Jahre nach Vertrags­schluss noch widerrufen

BGH: Verbraucher dürfen ihren Kredit bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung auch Jahre nach Vertrags­schluss noch widerrufen


Bundesgerichtshof (BGH)
Urteile vom 12.07.2016 – XI ZR 501/15 und XI ZR 564/15

Der für das Bankrecht zuständige XI. Senat des BGH durfte nun endlich über den Widerruf von Verbraucherdarlehen urteilen und entschied: Verbraucher dürfen ihren Kredit auch Jahre nach Vertrags­schluss noch widerrufen, wenn die Widerrufs­belehrung fehlerhaft ist. Die Ausübung des Widerrufsrechts ist in diesen Fällen auch weder verwirkt noch rechtsmissbräuchlich.

Es ist DAS Thema der letzten Monate und Jahre und ist aufgrund der Masse an Verfahren kaum noch zu überblicken: Der Widerruf von Verbraucherdarlehen aufgrund der Fehlerhaftigkeit der von Banken verwendeten Widerrufsbelehrungen. Eine Auswertung der branchenweit verwendeten Widerrufsbelehrungen hatte ergeben, dass ca. 80 % der verwendeten Widerrufsbelehrungen Fehler enthielten und den Verbraucher somit nicht ordnungsgemäß über das jeweilige Widerrufsrecht aufklären konnten. Folge dessen war und ist, dass die Frist für den Widerruf nicht zu laufen beginnt und Kreditverträge demnach auch Jahre nach Vertragsschluss und sogar nach Abwicklung des ganzen Kredits noch widerrufen werden können.

Der BGH entschied zunächst, dass die insbesondere von Sparkassen im gesamten Bundesgebiet verwendeten Widerrufsbelehrungen mit der Formulierung „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ fehlerhaft sind. Verwendet die Bank in ihrer Widerrufsbelehrung des Weiteren eine Fußnote hinter der Fristangabe „zwei Wochen“, welche lautet „Bitte Frist im Einzelfall prüfen.“, entfällt hierdurch auch die Schutzwirkung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Musterbelehrung. Der BGH hat hiermit klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass jegliche Veränderungen der Musterbelehrungen (seien es auch nur Bearbeiterhinweise für den eigenen Sachbearbeiter) zwingend zum Nachteil des Darlehensgebers gewertet werden. Hierdurch konnte nun endlich ein lange und vieldiskutierter Streit über die Grenzen einer sog. „inhaltlichen Bearbeitung der Musterbelehrung“ beendet werden, mit gutem Ende für den Verbraucher.

Darüber hinaus stellte der BGH klar, dass die Ausübung eines Widerrufsrechts bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung auch Jahre nach Vertragsschluss und selbst aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht treuwidrig ist. Er erteilte den Einwänden der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs insofern eine klare Absage. Hintergrund dessen war, dass vor den Landes- und Oberlandesgerichten oft Uneinigkeit darüber herrschte, ob eine Bank darauf vertrauen darf, dass ein Kunde seinen Darlehensvertrag Jahre nach Vertragsschluss nicht mehr widerruft oder ob ein Kunde sich rechtsmissbräuchlich verhält, wenn er den Vertrag, z. B. wegen der Ausnutzung des niedrigen Zinsniveaus, nach Jahren widerruft . Bislang gab es hierzu keine höchstrichterliche Entscheidung, da anstehende Verhandlungen über diese Frage vor dem Bundesgerichtshof stets kurz vor dem Verhandlungstermin aufgehoben wurden. Diese Uneinigkeit ist nun auch geklärt.

Ferner legte sich der BGH auch endgültig darauf fest, dass Verbrauchern im Falle des Widerrufs Nutzungsersatzansprüche gegen die Banken für sämtliche Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe einer Verzinsung von 2,5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zustehen.

Die Entscheidung des BGH ist sehr zu begrüßen. Verbraucher können somit

1. kostenlos und ohne Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung aus „teuren“ und langfristigen Kreditverträgen vorzeitig aussteigen und durch die Ihnen vom BGH gewährten Nutzungsersatzansprüche gegen die Bank die zurück zu zahlende Restvaluta entsprechend mindern oder

2. zu Unrecht an die Bank gezahlte Vorfälligkeitsentschädigungen oder eigene Nutzungsersatzansprüche auch nach Abwicklung des Kredites noch zurückfordern bzw. geltend machen.

Es ist nun zu erwarten, dass betroffene Banken, insbesondere Sparkassen, nicht mehr pauschal alle Widerrufe abwehren und betroffene Widerrufsfälle zügig und ohne Gerichtsverfahren abgewickelt werden können.

Kategorie: Bank- und Kapitalmarktrecht, Widerruf Verbraucherdarlehen, 13. Juli 2016



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