OLG Hamm: Zu dem Verjährungsbeginn eines Ausgleichsanspruchs im Baurecht

OLG Hamm: Zu dem Verjährungsbeginn eines Ausgleichsanspruchs im Baurecht


Oberlandesgericht Hamm (OLG)
Urteil vom 08.07.2020 – I 12 U 74/19

Das OLG Hamm hat entschieden, dass die Verjährung eines Ausgleichsanspruchs nach § 426 Abs. 1 BGB erst dann beginnt, wenn der Ausgleichsberechtigte Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von sämtlichen Umständen erlangt hat, die seinen Anspruch begründen. Dies bedeutet, dass der Ausgleichsberechtigte Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von dem Anspruch des Gläubigers gegen den Ausgleichsverpflichteten und Kenntnis von dem Anspruch des Gläubigers gegen ihn selbst haben muss. Zudem muss der Ausgleichsberechtigte Kenntnis von den Umständen haben, die das Gesamtschuldverhältnis und die Ausgleichspflicht im Innenverhältnis begründen. Im Baurecht sind für den Verjährungsbeginn des Ausgleichsanspruchs eines Baubeteiligen seine Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis bezüglich der Mangelursachen maßgeblich. Eine bloße Rüge von Mangelsymptomen reicht nicht aus.

In dem hiesigen Verfahren stritten die Parteien über Ansprüche der Klägerin auf Gesamtschuldnerausgleich aus übergegangenem Recht:

Die Beklagte wurde von einer Planungsgesellschaft, die bei der Klägerin versichert ist, für ein städtisches Bauvorhaben mit sämtlichen Estrich- und Fliesenarbeiten beauftragt. Hierzu beauftragte sie ihrerseits unter anderem den Streitverkündeten. Während der Bauarbeiten wurden mehrere Mängel gerügt und im Jahr 2008 in einem Abnahmeprotokoll festgehalten. Im Anschluss daran fanden Erörterungen bezüglich eines Termins zur Mangelbeseitigung statt, zu dem es letztlich aber nicht mehr kam.

Der Bauherr nahm die Planungsgesellschaft schließlich wegen der Mängel in Anspruch und leitete zunächst ein selbstständiges Beweisverfahren ein. In dem Beweisverfahren verkündete die Planungsgesellschaft der Beklagten den Streit. Im anschließenden Klageverfahren trat die Beklagte dem Rechtsstreit aufseiten des Bauherrn bei. Das Landgericht Arnsberg verurteilte die Planungsgesellschaft im Jahr 2016 zur Zahlung von Schadensersatz. Die Klägerin leistete eine entsprechende Schadensersatzzahlung an den Bauherrn. 

Die Klägerin begehrte nun die Zahlung eines Teils der von ihr an den Bauherrn geleisteten Betrages sowie die Feststellung, dass die Beklagte für alle weiteren Schäden, die der Klägerin aus dem Regressanspruch des Bauherrn entstehen, zu 80 % haftet sowie Freistellung in dieser Höhe.

Das vorinstanzlich zuständige Landgericht wies die Klage gegen die Beklagte wegen Eintritt der Verjährung ab. Denn die Verjährungsfrist habe bereits im Jahr 2008 mit der Abnahme begonnen und sei somit bei der im Jahr 2013 erfolgten Streitverkündung bereits abgelaufen. Eine Hemmung durch die Streitverkündung sei demnach nicht mehr möglich gewesen.

Auf die Berufung der Klägerin hin, entschied das OLG, dass die Beklagte und die Planungsgesellschaft als Gesamtschuldner anzusehen seien, da beide eine Verpflichtung zur Mängelbeseitigung gegenüber dem Bauherrn hätten.

Zwar seien Architekten und Bauunternehmer bezüglich der Primärleistung der Errichtung des Bauwerks keine Gesamtschuldner, weil ihnen gegenüber dem Bauherrn unterschiedliche Hauptleistungspflichten obliegen. Jedoch haften Architekten und Bauunternehmer wegen eines Mangels am Bauwerk nach ständiger Rechtsprechung des BGH grundsätzlich als Gesamtschuldner, wenn sie im Rahmen ihrer jeweiligen Leistungspflichten für die Entstehung des Mangels verantwortlich sind.

Wesentliches Merkmal der Gesamtschuld nach § 421 BGB sei, dass dem Gläubiger mehrere Schuldner in der Weise haften, dass er sich mit der Leistung eines von ihnen befriedigen könne. Dies sei bei Architekten und Bauunternehmern nicht anders. Zwar sei die Leistungspflicht des Architekten auf Schadensersatz gerichtet, wohingegen der Bauunternehmer zunächst zur Mängelbeseitigung aufgefordert werden könnte. Die Pflicht zur Mangelbeseitigung könne jedoch zu einer Schadensersatzpflicht werden, sodass die Leistungspflichten nicht gänzlich unterschiedlich seien. Somit seien Planungsgesellschaften und Bauunternehmer in einer engen Zweckgemeinschaft verbunden und verfolgen bei der Gewährleistung dasselbe Leistungsinteresse.

Nach den Feststellungen im selbstständigen Beweisverfahren und im Rechtsstreit zwischen der Planungsgesellschaft und dem Bauherrn waren sowohl Planungsfehler durch den Architekten sowie Ausführungsfehler der Beklagten festgestellt worden, sodass eine gesamtschuldnerische Haftung vorgelegen habe.

Ferner führte das OLG Hamm aus, dass der geltend gemachte Anspruch nicht verjährt sei.

Die Verjährung des Anspruchs des Gläubigers gegen einen Gesamtschuldner habe keinen Einfluss auf den Ausgleichsanspruch des zahlenden Gesamtschuldners. Lasse der Gläubiger den Anspruch gegen einen Gesamtschuldner verjähren und halte er sich an den anderen, dessen Verpflichtung noch nicht verjährt ist, habe dies keinen Einfluss auf die Verjährung des Ausgleichsanspruchs des Zahlenden und damit auf die Ausgleichspflicht des „verjährten“ Gesamtschuldners.

Der Ausgleichsanspruch verjährt innerhalb der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist. Die Verjährungsfrist beginnt mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und dem Ausgleichsberechtigten sämtliche anspruchsbegründenden Umstände sowie die Person des Schuldners bekannt oder wegen grober Fahrlässigkeit unbekannt sind. Vorliegend sei der Anspruch des Gesamtschuldnerausgleichs zum Zeitpunkt der Abnahme im Jahr 2008 entstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH entstehe der Ausgleichsanspruch in dem Augenblick, in dem die Ersatzpflichtigen gegenüber dem Geschädigten ersatzpflichtig werden. Dementsprechend entstehe der Anspruch mit Begründung der Gesamtschuld. Der Ausgleichsanspruch an sich unterliege einer einheitlichen Verjährung und sei von seiner konkreten Ausprägung als Mitwirkungs-, Befreiungs- oder Zahlungsanspruch unabhängig.

Jedoch setze der Verjährungsbeginn weiter voraus, dass der Ausgleichsberechtigte Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von den Umständen habe, die den Anspruch des Gläubigers gegen den Ausgleichspflichtigen begründen sowie den Anspruch des Gläubigers gegen ihn selbst. Ferner seien die Umstände relevant, die das Gesamtschuldverhältnis und die Ausgleichspflicht im Innenverhältnis begründen.

Vorliegend läge die Kenntnis über die tatbestandlichen Voraussetzungen der eigenen Haftung erst dann vor, als die Planungsgesellschaft von ihren Planungs- und/oder Überwachungsfehlern und den darauf beruhenden Mängeln sowie von der mangelhaften Leistung der Beklagten erfahren habe.

Diese Kenntnis habe die Planungsgesellschaft bei der Abnahme im Jahr 2008 jedoch nicht gehabt. Auch läge keine grob fahrlässige Unkenntnis der Mängel bei der Abnahme vor, weil nicht erkennbar gewesen sei, durch welche/wessen Arbeiten diese verursacht wurden. Dies habe sich erst im selbstständigen Beweisverfahren und im nachfolgenden Rechtsstreit herauskristallisiert.

Die im Abnahmeprotokoll im Jahr 2008 erfolgte Rüge von Symptomen von Mängeln habe allein nicht eine grob fahrlässige Unkenntnis von den Tatsachen für eine eigene Haftung vermittelt. Dazu sei auch die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Mangelursache erforderlich gewesen. Erst wenn bei einem Baubeteiligten die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den Mangelursachen vorliege, könne dieser erkennen, ob er selbst und/oder ein anderer Baubeteiligter für den Mangel haftet bzw. haften. An einer konkreten Bezeichnung einer solchen Mangelursache fehle es aber im Abnahmeprotokoll.

Durch die erfolgte Streitverkündung und die Klageerhebung im hiesigen Verfahren sei die Verjährungsfrist vor Eintritt der Verjährung gehemmt worden. Diese Hemmung dauere noch an, sodass der Ausgleichsanspruch der Klägerin nicht verjährt und somit immer noch durchsetzbar sei.

Kategorie: Bau- und Architektenrecht, 06. August 2020



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